Stückwerk statt Gesamtkonzept

25.10.2022

Verkehrsplanung in Köln - von Peter Pauls

"Ein funktionierendes Verkehrssystem ist das Rückgrat unseres Gemeinwesens in der Stadt. Es ist Zeit, dass wir uns – losgelöst von aktuellen Maßnahmen – einmal grundsätzlich Gedanken machen, wie eine neue Mobilitätsstruktur in Köln aussehen könnte." Der Satz ist sieben Jahre alt und steht im amtlichen Kölner Online-Auftritt. Im Anschluss werden herausragende Verkehrslösungen in europäischen Städten präsentiert. Hochkarätige Experten aus Kopenhagen, Stockholm, Wien, Mailand und Zürich nahmen damals, 2015, eine Einladung nach Köln an und stellten vor, wie moderne Verkehrspolitik bei ihnen aussieht. Wie so häufig, folgte dem Wort leider nicht die Tat.

Einfach besser: Wien, Kopenhagen und Mailand

Vielmehr blieb die ehrgeizige Initiative der Stadt, der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln und dem "KAP-Forum - Architektur, Technologie, Design" folgenlos. Bedauerlich, denn in der Online-Zusammenfassung liest man, wie nüchtern Kopenhagen trotz leerer Kassen seine Metro plante und erfolgreich finanzierte. Oder welche Rahmenstrategie in Wien formuliert wurde, um auf die jeweiligen Viertel heruntergebrochen zu werden. Man erfährt, wie strategisch Planer in Mailand vorgingen und wie konsequent Zürich auf komfortablen und effizienten öffentlichen Nahverkehr setzt. Verbindendes Element aller Maßnahmen war, Lösungen mit den am Straßenverkehr Beteiligten zu finden. Alle sind ins Boot zu holen, lautete die Devise.

Autofahrer vergraulen

Misst man die Gegenwart Kölns daran, kehrt Ernüchterung ein. Vorherrschendes Planungsmerkmal scheint hier die Vergrämung des Autofahrers zu sein. Statt der gerne beschworenen "Flaniermeilen" entstanden von Radlern dominierte Schnellwege, die für Senioren oder Mütter mit Kindern fast so problematisch zu überqueren sind wie mehrspurige Autostraßen. Der öffentliche Nahverkehr wird den Bürgern eher aufgenötigt, als dass er attraktiv ausgestaltet wird. Auf Bezirksebene werden Straßen für autofrei erklärt, verwirrende Einbahnregelungen durchgesetzt oder Verkehrsachsen durchschnitten. Ob es nun um Eigelstein, Ehrenstraße, Deutzer Freiheit, Kalker oder Rodenkirchener Hauptstraße geht. So ergibt sich als Summe für Köln nur eine Addition von Einzelmaßnahmen ohne in sich stimmiges Konzept - letztlich nur Stückwerk.

Beispiel Rodenkirchen:

Dort will der Bezirksbürgermeister Manfred Giesen (Grüne) laut Kölner Tageszeitungen den Klimawandel bekämpfen, indem er die örtliche Hauptstraße zur Einbahnstraße umwidmet. Der Prüfauftrag, den seine Partei in dieser Frage an die Stadtverwaltung richtet, verdient den Namen nicht. Er ist nicht ergebnisoffen, sondern so formuliert, dass der "Einrichtung einer Einbahnstraße mit Fahrradspur" eigentlich nur zugestimmt werden kann. Es geht hier lediglich darum, technische Erfordernisse wie Fahrbahnbreite oder Ausmaß anstehender Bauarbeiten zu prüfen. Ferner soll ermittelt werden, ob umgelenkte Verkehrsströme ein "vertretbares Maß" annehmen - was alles und nichts bedeuten kann. So gibt die Prüfung bereits die Antwort vor. Fast 2.000 Unterschriften gegen eine solche Regelung sammelte Kerstin Baarz, unterstützt u. a. auch von der "Aktionsgemeinschaft Treffpunkt Rodenkirchen", bisher.

Gesinnungspolitik bevorzugt

Doch scheint es in der Politik weniger um Zahlen als um passende Gesinnung zu gehen. Am Eigelstein unterschrieben rund 250 Menschen einen "Hilferuf", der dem grünen Bezirksbürgermeister Hupke als Begründung für seine Politik dienen sollte. Gegen diesen "Hilferuf" sprachen sich zwar in einer dreisprachigen Gegenresolution 300 Unterzeichner aus, die den Bevölkerungsmix in diesem von Migration geprägten Viertel viel eher abdeckt. Sie fiel jedoch unter den Tisch. Ob die Unterschriften aus dem Kölner Süden diesen Weg auch gehen werden?
Manfred Güllner, Chef des Umfrageinstituts "Forsa", erkennt hinter einem solchen Politikstil ein Muster. Ausgeprägte Ambivalenz und Doppelbödigkeit seien seit jeher Wesensmerkmal der Grünen, schreibt er und zitiert den österreichischen Soziologen Leopold Rosenmayr: „Das Geheimnis der Grünen ist, dass sie ein Sprachsystem geschaffen haben, das es ihnen gestattet, Kritik an der Gesellschaft bruchlos zu kombinieren mit der Nutzung ihrer Privilegien“. Schon in ihren Anfangszeiten hätten sie den Staat eher geringgeschätzt und ihn verhöhnt oder sogar bekämpft, stellt Güllner fest. Dennoch hätten sie nie Skrupel gehabt, alle vom Staat in welcher Form auch immer zur Verfügung gestellten Ressourcen für sich zu nutzen.

Wie Gutsherren

Einst gehörte die Forderung nach Bürgerbeteiligung und Anhörungen zum Standardrepertoire der Umweltpartei, merkt auch Thomas Tewes an. Der Hauptgeschäftsführer des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins (KHUG) kritisiert, dass ausgerechnet jetzt die Bürger nicht mitgenommen würden. Er spricht von Politik nach Gutsherrenart. Im Einzelhandel entlang der Kalker Hauptstraße gehe wegen der geplanten Umwidmung zur Einbahnstraße Existenzangst um, zumal die Härten der Coronajahre und die Teuerungen auf dem Energiesektor die Geschäftsleute ohnehin strapazieren. Für den Bäcker Engelbert Schlechtrimen brachte die Debatte um die Verkehrsregelung das Fass zum Überlaufen. Anfang Oktober schloss er sein Traditionsgeschäft.

Intelligente Verkehrsplanung

"Ein modernes Verkehrssystem erreicht man nur miteinander und nicht, indem man sich in Grabenkämpfen verschleißt." Diese Erkenntnis hat Andreas Grosz aus den Expertenanhörungen 2015 mitgenommen. Der Mitbegründer des KAP-Forums hat über viele Jahre aus Köln heraus der Architektur und Stadtentwicklung zentrale Impulse gegeben. Sein Fazit ist ernüchternd. Es gebe kein Erkenntnisproblem, sagt er. Natürlich müsse der Verkehr in der Stadt intelligent geregelt werden, wie etwa in Kopenhagen: mindestens ein Drittel Radverkehr, mindestens ein Drittel öffentlicher Personenverkehr und höchstens ein Drittel Autoverkehr. In Köln aber gebe es ein Umsetzungsproblem.
Mobilität ist eine Grundlage unserer Gesellschaft. Sie beginnt im persönlichen Bereich mit dem Weg zu Arbeit, Schule, Einkaufen, zum Freundestreffen oder um in den Urlaub zu fahren. Sie ist Grundlage für Handel und produzierende Wirtschaft ebenso wie für Handwerk oder Lieferungen oder für medizinische und pflegerische Dienste. "Mobilität ist kein Selbstzweck", haben vor Jahresfrist Nicole Gründewald, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln, Garrelt Duin, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Köln (HWK) und Witich Roßmann, DGB-Vorsitzender Köln-Bonn, in einem gemeinsamen Papier zu Klimaneutralität und Verkehrspolitik in Köln formuliert. "Menschen nutzen die jeweils effektivsten Mobilitätsformen."

Ignoranz der Stadt

Die breite Koalition aus Wirtschafts-, Handwerksverband und Gewerkschaft hat der Stadtpolitik ins Stammbuch geschrieben, sie habe die Mobilitäts- und sozialen Interessen aller Bürger zu respektieren "durch direkte Beteiligung und Einbeziehung aller ihrer Interessenverbände und -organisationen." Klimaschutz funktioniere nur mit der Wirtschaft, mit Industrie und Handwerk - und nicht gegen sie. In der Politik hat das Papier geringen Niederschlag gefunden. Bitter konstatiert Hans-Peter Wollseifer, Präsident der Handwerkskammer, dass die Bedürfnisse des Handwerks in der Verkehrsplanung praktisch nicht vorkommen. Die Stadt sei ignorant. Mittlerweile gebe es Handwerker, die die Innenstadt meiden. Zeitraubende Anfahrt, problematischer Zugang zum Kunden, die Not, den Werkstattwagen überhaupt parken zu können. Geplatzte Wasserleitungen oder defekte Heizungen an kalten Wintertagen nehmen jedoch keine Rücksicht auf zeitlich beschränkte Zufahrtsregelungen von sieben bis elf Uhr.

Grüne setzen sich durch

Warum dieser Weg in Zeiten überlagernder Krisen auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden soll? Vielleicht, weil es den Grünen jetzt erstmals möglich ist. In den Jahren davor sind allenfalls Beschlüsse gefasst worden, die Papier blieben. Aus der Kommunalwahl 2020 gingen sie jedoch als stärkste Partei hervor. Indes ist ein Ergebnis von 28,5 Prozent bei einer miserablen Wahlbeteiligung von 51,4 Prozent nicht als Auftrag zu deuten, die Verhältnisse in Köln nach Gutdünken umzukrempeln. Trotz aller Stärke sind die Grünen zu schwach, um allein zu regieren.
Auf Stadtebene spielt die CDU den Steigbügelhalter. Sie wird sich hüten müssen, nicht eine Erkenntnis des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard zu bedienen: "Wer den Zeitgeist heiratet, wird schnell Witwer".